Defekte vermeiden

Was ist eine Qualzucht?

Manche Menschen züchten Heimtiere so, dass sie bestimmte Merkmale haben, die besonders oder außergewöhnlich aussehen oder gerade in Mode sind. Eine solche geplante oder auch versehentlich entstandene Zuchtform mit extrem ausgeprägten Merkmalen (als Übertypisierung bzw. Überzüchtung bezeichnet) kann jedoch zu Leid, Schmerzen oder gesundheitlichen Problemen bei den Tieren führen und gegen Grundsätze des Tierschutzes verstoßen.

Qualzuchtmerkmale: vielfältig und nicht immer sichtbar

Beispiele für Qualzuchtmerkmale sind besondere Farb-, Form- oder Zeichnungsvarianten des Fells, der Federn oder der Haut, Haar- oder Schuppenlosigkeit oder auch zu viele Haare oder Federn an Stellen, wo sie das Tier beeinträchtigen. Ebenso gehören dazu bestimmte Körpermerkmale wie zum Beispiel sehr kurze Nasen, kurze Beine oder geknickte Ohren. Wenn bei der Zucht übertrieben einseitig auf extreme Merkmale geachtet wird, spricht man von Übertypisierung oder Überzüchtung. Leidet das Tier unter solchen Merkmalen, handelt es sich um Qualzucht. Damit bezeichnet man eine Zuchtpraxis, die dem Tier mehr schadet als nützt.

Die rechte Katze im Bild hat einen kurzen Kopf, der zu Atem-, Augen- und Zahnproblemen führen kann.

„Qualzucht, Extremzucht bzw. Defektzucht bezeichnet die selektive Zucht auf bestimmte Merkmale bei Tieren, obwohl diese Merkmale zu Schmerzen, Leiden, Schäden oder Verhaltensstörungen führen. Es geht also um Zuchtpraktiken, die das Wohl der Tiere stark beeinträchtigen.”

Dr. Stefan K. Hetz, Diplom-Biologe

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ZZF klärt über Extremzuchten auf

Wie sind Defektzuchten entstanden?

Seit Tausenden von Jahren leben Menschen mit Tieren zusammen. Zuerst hielten sie vor allem Hunde, später kamen viele andere Tierarten hinzu. Mit der Zeit begannen Menschen, bewusst Einfluss auf die Fortpflanzung dieser Tiere zu nehmen. Die gezüchteten Tiere wurden beispielsweise zahmer oder gaben mehr Milch. Diesen Vorgang nennt man Zuchtauslese oder Domestikation. Dabei entscheidet nicht mehr die Natur, welche Eigenschaften weitergegeben werden, sondern der Mensch wählt gezielt aus – zum Beispiel ein bestimmtes Aussehen, ein gewünschtes Verhalten oder eine bestimmte Körpergröße.
In der Natur passen sich Tiere über viele Generationen an ihre Umwelt an. Bei der Zucht jedoch greift der Mensch direkt ein: Tiere mit den gewünschten Merkmalen werden miteinander verpaart, damit diese in der nächsten Generation erhalten bleiben oder sogar stärker ausgeprägt sind.
Dabei gibt es auch Risiken. Manche erwünschten Eigenschaften hängen genetisch mit Merkmalen zusammen, die gesundheitliche Probleme verursachen können. Diese werden dann ungewollt mitvererbt. In einigen Fällen wurden sogar Merkmale gezielt gezüchtet, obwohl sie das Tier in seinem Wohlbefinden stark einschränken.

Wie können Qualzüchtungen vermieden werden?

Der linke Hund hat kurze Kiefer- und Nasenknochen, was bei einigen Tieren zu Atembeschwerden, Störung des Hechelns und Schlafproblemen (Schlafapnoe) führen kann.

Ziel der Zucht: Gesunde Tiere

Das wichtigste Ziel jeder Tierzucht sollten gesunde Tiere sein. Formen einer Tierart, die durch Zucht oder sogar chirurgische Eingriffe so stark verändert wurden, dass sie sich nicht mehr artüblich verhalten können, gelten als ungeeignet für die Heimtierhaltung. Solche Tiere sollten weder gezüchtet noch verkauft werden.
Bei einer verantwortungsvollen Zucht geht es deshalb nicht nur um ein bestimmtes Aussehen, sondern vor allem auch um die Gesundheit und das Wohlbefinden des Tieres. Nur so können Tiere ein langes, aktives und tiergerechtes Leben führen.

Auf welche Merkmale sollten Züchter achten?

Im Juni 1999 veröffentlichte das Bundeslandwirtschaftsministerium ein Gutachten zur Auslegung von § 11b des Tierschutzgesetzes. Dieses Gutachten ist zwar nicht rechtsverbindlich, wird aber als wichtige Orientierung genutzt. Darin werden die Qualzuchtmerkmale verschiedener Rassen und Tierarten beschrieben.
Das Gutachten macht deutlich: In der Zucht müssen Defektgene und genetisch bedingte Veränderungen (Anomalien) so berücksichtigt werden, dass möglichst keine Nachkommen entstehen, die unter Schmerzen, Leiden oder gesundheitlichen Schäden leiden. Ziel ist es also, schon bei der Zuchtplanung dafür zu sorgen, dass problematische Merkmale gar nicht erst weitervererbt werden.

Qualzuchtmerkmale erkennen

Merkmale nicht immer eindeutig

Nicht immer ist allerdings klar, ob ein gezüchtetes Tier mit einem besonderen Merkmal tatsächlich als Qualzucht gilt. In der Heimtierhaltung sind Tiere oft keinem natürlichen Feind mehr ausgesetzt. Dadurch können Merkmale, die in der Natur für das Überleben wichtig wären, an Bedeutung verlieren. Außerdem sind sich Fachleute nicht immer einig, ob bestimmte Merkmale überhaupt ein gesundheitlicher Defekt sind. Ein Beispiel: Nicht jedes Kaninchen mit einem geknickten Ohr hört schlecht oder bekommt Ohrentzündungen. Deshalb ist der Bedarf an wissenschaftlichen Studien groß, um die Auswirkungen bestimmter Zuchtformen auf die Tiergesundheit besser beurteilen zu können.

Neue Studien gefordert

Im Gutachten zu § 11b im Tierschutzgesetz werden bereits einige Qualzuchtformen genannt. Der Zentralverband Zoologischer Fachbetriebe Deutschlands (ZZF) hat diese ohne Einschränkung auf seine Negativliste über ungeeignete Heimtiere gesetzt (bekannt als „Heidelberger Beschlüsse“). Allerdings ist das Gutachten veraltet, und viele mögliche Qualzuchtmerkmale sind noch gar nicht darin beschrieben. Deshalb setzt sich der ZZF für neue Studien über Zuchtformen ein, bei denen es einen Verdacht auf gesundheitliche Probleme gibt. Er fordert neue rechtsverbindliche Listen, in denen genau beschrieben ist, welche Zuchtformen und Einzelmerkmale als Qualzuchten zu betrachten sind.

Empfehlungen und Forderungen

Aufklärung ist wichtig!

Der Wunsch nach dem Besonderen kann also Leiden und Schäden für Tiere zur Folge haben. Einigen Tierhaltenden ist möglicherweise gar nicht bewusst, dass ihr Modetier unter gesundheitlichen Einschränkungen leidet.

Zoofachhändler, Tierärztinnen und Tierärzte, Hundefriseure und andere Fachleute in der Heimtierbranche leisten hier wichtige Aufklärungsarbeit: Jede Tierart ist faszinierend und viele Heimtiere haben einen eigenen Charakter, den Tierfreunde entdecken können. Wenn Händler und Züchter ihre Kunden für diese Merkmale begeistern, sind ausgefallene Farbschläge oder Körperformen möglicherweise nicht mehr so entscheidend. Ein gesundes Heimtier muss nicht so häufig in der Tierarztpraxis vorgestellt werden. Wenn Kundinnen und Kunden bereits ein Tier halten, das unter zuchtbedingten Defekten leidet, sollten die Fachleute über die richtige Haltung und Pflege informieren.

Defektzuchten sind unnötig

Die Vielfalt der Heimtiere ist faszinierend

Hand füttert Koi

„Tiere sind keine Objekte. Jede Art, jedes Individuum ist einzigartig. Die Vielfalt an Heimtieren ist faszinierend. Tierfreunde können auch ohne extreme Zuchtauslese spannende Heimtiere entdecken.”

ZZF-Präsident Norbert Holthenrich

Kontakt

Dr. Stefan K. Hetz

Dr. Stefan K. Hetz

Wissenschaftlicher Fachreferent für Heimtiere und internationale Beziehungen